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Autonom fahrende Schiffe und ihre Folgen für Versicherungen

Spätestens seit dem tragischen Unfall des Tesla Model X bei einer Versuchsreihe in Kalifornien ist das Thema selbstfahrende Pkws im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen. Autonome Fahrzeuge werden in Zukunft wohl immer öfter am Strassenverkehr teilnehmen.

Aber auch auf dem Wasser werden uns bald selbstständig navigierende Schiffe begegnen: Die Branche investiert derzeit stark in Technologien, die es eines Tages sogar Hochseeschiffen erlauben sollen, vollständig autonom zu fahren.

Frau Dr. Schilling-Schulz ist Expertin für Versicherungsrecht

Im Vergleich zu Automobilen ist die Zeit autonomer Schiffe zwar sicher noch weiter weg, aber auch in der Schifffahrt gibt es neben technologischen auch rechtliche und regulatorische Hindernisse. Experten der Allianz schätzen, dass die autonome Seeschifffahrt ab 2035 zur Realität werden könnte. Die norwegischen Unternehmen Kongsberg und Yara wollen bereits 2019 ein unbemanntes, ferngesteuertes Schiff für den Transport von Düngeprodukten von einem Werk zum Containerhafen einsetzen.

Wir haben zu diesem Thema die Rechtsanwältin und Expertin für Versicherungsrecht Frau Dr. Schilling-Schulz Interviewt. Frau Dr. Schulz-Schilling befasst sich seit über 15 Jahren als Rechtsanwältin mit verschiedensten juristischen Fragestellungen rund um das Thema Versicherungsrecht und ist heute in der renommierten Kanzlei Arnecke, Sibeth, Dabelstein tätig. Darüber hinaus ist sie u.a. Mitglied des Deutschen Vereins für Internationales Seerecht und Kolumnistin für den Versicherungsmonitor.

 

 

Frau Dr. Schilling-Schulz, angenommen, die Technologie wäre bereits soweit: Dürfte ich ein autonom fahrendes Boot oder Schiff überhaupt einsetzen?

Wir müssen hier zunächst einmal zwischen unbemannten und autonom fahrenden Schiffen unterscheiden: Viele Schiffe fahren bereits jetzt teilautonom: Es befinden sich Kapitän und Besatzung an Bord, aber der Kapitän kann vieles auf den Autopiloten verlagern.

Unbemannte Schiffe fahren noch nicht, es gibt aber bereits erste, vorsichtige Projekte von unbemannt fahrenden Schiffen: Es fahren z.B. in Norwegen bereits unbemannte Kabelfähren, die „auf Knopfdruck“ kommen. Man geht davon aus, dass die ersten ferngesteuerten Schiffe bereits im nächsten Jahr in See stechen, allerdings nur in Küstennähe.

Nun zu der rechtlichen Zulässigkeit ihres Einsatzes: In nationalen Gewässern dürfen autonom fahrende, unbemannte Schiffe dann fahren, wenn das jeweilige Land eine entsprechende Sondergenehmigung erteilt. Dies ist in einigen Ländern möglich. Ob diese Sondergenehmigung erteilt wird, hängt also von der nationalen Gesetzgebung ab.

Wenn wir jedoch über größere Schiffe und insbesondere weitere Strecken reden, dann wird es schwieriger: International gibt es noch keine länderübergreifende Regelung für unbemannte Schiffe. Ein unbemanntes Schiff international einzusetzen, ist also derzeit aufgrund gesetzlicher und regulatorischer Gegebenheiten nicht möglich.

Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation („IMO“) prüft jedoch, ob die aktuellen internationalen Vorschriften nicht auch auf unbemannte autonome Schiffe übertragen werden können oder ob man dies ggf. durch eine einheitliche Konvention oder durch einzelne Abkommen löst.  Man befindet sich dort aber erst in der Phase der „scoping excercise“, so dass die Verabschiedung einer internationalen Konvention oder Regelwerkes sicherlich noch etwas dauern wird.

 

Wie schätzen Sie die rechtlichen Risiken der autonomen Schifffahrt im Vergleich zu der traditionellen, von Menschen gesteuerten aus?

Das Hauptproblem besteht derzeit sicherlich in der Rechtsunsicherheit, wie die jetzigen Gesetze im Hinblick auf die autonome Schifffahrt ausgelegt werden können, da sie derzeit eben noch auf bemannte Schiffe ausgerichtet sind. Es stellt sich also die Frage, ob die derzeitigen Gesetze überhaupt reichen, ob sie analog angewendet werden können oder ob sie geändert werden müssen.

Ein Kernthema sind hier auf jeden Fall die Haftungs- und Zurechnungsregelungen, also das Verschulden und die Kausalität. Würde es bei den derzeitigen Regeln verbleiben, wäre ein Verschulden – und die entsprechende Kausalität – sehr viel schwieriger nachweisbar. Denn das Verschulden knüpft stets an ein menschliches Verhalten. Wenn aber kein Mensch an Bord ist, muss dennoch ein Verschulden nachgewiesen werden, welches an einem Menschen festzumachen ist. Die Schadensursache wird aber meist nicht an einem unmittelbaren menschlichen Fehlverhalten liegen, sondern beispielsweise im Ausfall des Datennetzes oder einer ebenfalls vor geraumer Zeit erfolgten fehlerhafte Programmierung. Nur, wie will man dies nachweisen?

Es wird also für den Geschädigten sehr viel schwieriger werden, Kausalität und Verschulden nachzuweisen, da es nicht auf ein unmittelbares Verhalten, sondern auf ein Verhalten ankommen wird, welches sowohl zeitlich als auch räumlich weiter weg ist. Deshalb gibt es die Überlegung, ob man nicht zu einer „strict liability“, also einer verschuldensunabhängigen Haftung kommen sollte.

Was sich mit der autonomen Schifffahrt zum Nachteil der Reeder verändern könnte – wieder vorausgesetzt, es bleibt bei den derzeitigen Gesetzen und Regularien -, wäre der Fortfall von Haftungsbegrenzungen. Heute gelten viele Haftungsbegrenzungen zu Gunsten des Managements: Zum Beispiel werden Navigationsfehler des Kapitäns nach den international geltenden Haag Visby Regeln nicht dem Management zur Last gelegt. Vorausgesetzt, man könnte also das Verschulden bei einem Schadensfall in der autonomen unbemannten Schifffahrt nachweisen, wäre derzeit sofort das Management in der Haftung, da eben kein Kapitän mehr dazwischengeschaltet ist. Das Management wäre also stärker einer Haftung ausgesetzt.

Und schließlich ist auch die Produkthaftung ein großes Thema – wie auch beim autonomen Fahren. Das derzeitige Produkthaftungsgesetz stellt auf die Fehlerhaftigkeit zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens ab. Es ist also nicht auf stets veränderbare Produkte ausgerichtet, wie es aber Computerprogramme mit ihren Updates sind. Des Weiteren fallen unter dieses Gesetz nur Sachen für den privaten, nicht aber den gewerblichen Gebrauch. Man sieht also, dass hier empfindliche Haftungslücken bestehen. Deshalb gibt es international Überlegungen, dies zu ändern bzw. anzupassen

 

Gibt es auch zusätzliche oder wegfallende technische Risiken?

Ich würde dies nicht nur auf die technischen Risiken beschränken, sondern die zusätzlichen bzw. wegfallenden Risiken ansprechen wollen:

Die Schifffahrt wird nach Expertenmeinungen sicherer werden. Man muss bedenken, dass ca. 75% aller nautischen Schadensfälle auf menschliches Fehlverhalten an Bord zurückzuführen sind.

Andererseits wird aber auch kein Kapitän oder keine Crew an Bord sein, die noch etwas retten könnte, sollte etwas mit dem Schiff passieren. Auch ist an zusätzliche Risiken wie Ausfälle bzw. Fehlfunktionen von Sensoren, Steuerungs- und Überwachungssystemen sowie in der Datenverarbeitung oder –übertragung zu denken.

Diese Risiken treten aber nicht plötzlich und erst mit der autonomen Schifffahrt auf; auch heutzutage hängt bei vielen Schiffen die Steuerung schon an elektronischen Systemen.

Ein erhöhtes Risiko wird durch Cyberangriffe bestehen und auch Piraten werden – zumindest nach derzeitigem Stand – Schiffe wohl leichter einnehmen können, da es an Bord keine „armed guards“ oder eine sich wehrende Crew mehr geben wird.

 

Generell ist zu beobachten, dass sich wegen der zunehmenden (Teil-)Autonomisierung Verantwortlichkeit von Einzelpersonen hin zu Lösungsanbietern, also Unternehmen, verschiebt. Was sind die Auswirkungen für Versicherungen?

Dies wird für die Versicherungen und insbesondere die Versicherungsprodukte in vielerlei Hinsicht gravierende Auswirkungen haben. Die Unternehmen – und vorgeschaltet die beratenden Vermittler – müssen möglicherweise sehr weit denken, wenn sie Produkte oder Dienstleistungen anbieten, die Berührungspunkte mit der autonomen Schifffahrt haben. Ich muss hier etwas weiter ausholen:

Momentan können nach den Konventionen nur die Reeder bei nautischen Schadensfällen haftbar gemacht werden, aber nicht für Produktfehler. Also wird international überlegt, ob man in der autonomen Schifffahrt nicht auch die Möglichkeit schaffen muss, gegen den Hersteller von Softwareprodukten vorgehen zu können, sollte ein Fehler seines Produktes zu einem Schadensfall geführt haben.  Das wiederum bedeutet, dass ein IT-Unternehmen, welches zukünftig Programme für die autonome Schifffahrt erstellt oder ein Unternehmen, welches Teile für die notwendige Elektronik herstellt, auch die entsprechenden seeversicherungsrechtlichen Risiken versichern sollte.

Meines Erachtens können hierfür bestehende Versicherungsprodukte, beispielsweise eine Betriebshaftpflichtversicherung, nicht lediglich durch das Einfügen einzelner Klauseln für die autonome Schifffahrt „fit“ gemacht werden. Hierfür sind die Risiken der Schifffahrt viel zu komplex. Die Haftpflichtversicherungsprodukte müssen für diesen Bereich völlig neu konzipiert werden. Hiermit geht einher, dass Ausschlüsse überdacht werden müssen: Ein Erfüllungsschadenausschluss könnte in diesem Bereich für ein Unternehmen existenzvernichtend sein. Auch werden diese Unternehmen ihre Deckungssummen entsprechend der Risiken der autonomen Schifffahrt erhöhen müssen.

In den Versicherungsunternehmen wird eine Verzahnung zwischen Sparten erforderlich werden, die bisher kaum Berührungspunkte hatten.

Die Versicherer müssen zudem aufpassen, dass sie nicht – ähnlich wie bei „Silent Cyber“ – für Risiken einstehen müssen, die sie so gar nicht abdecken wollten, weil die Produkte eben gar nicht auf die autonome Schifffahrt abgestimmt waren. Und da wir gerade von Cyber sprechen: Für die Versicherer bedeutet die Herausforderung unbemannte Schifffahrt auch, dass die Cyber-Policen entsprechend angepasst werden müssen:Hackerangriffe werden eine der größten Risiken der autonomen Schifffahrt darstellen. Früher konnte keiner von Land auf die Schiffe Einfluss nehmen; dies ändert sich nun bzw. hat sich bereits geändert.

Schließlich muss noch an die höhere Gefahr durch Piraten bei unbemannten Schiffen gedacht werden, was Einfluss auf die Kidnap and Ransom-Versicherungen und ihre Prämien haben wird.

 

In unserer Software werden auch Warenversicherungspolicen inkl. Prämien und Transportmittel ausgestellt. Macht es Sinn, bei den Transportmitteln zukünftig zwischen traditionellen und autonomen zu unterscheiden?

Hier muss man erst einmal die Entwicklung abwarten: Die Schifffahrt soll wie gesagt durch das autonome unbemannte Fahren der Schiffe sicherer werden. Andererseits ist aber auch niemand an Bord, wenn auf hoher See ein Feuer ausbricht. Sollten sich aber die Prognosen bewahrheiten und werden etwaige „Kinderkrankheiten“ erst einmal abgewartet, so ist es sicherlich sinnvoll, bei der Tarifierung zwischen dem Transport auf traditionellem und autonomem Weg zu unterscheiden.

 

Noch eine Frage zum Abschluss: Ist die zunehmende Autonomisierung von Transportmitteln eine Chance für Versicherungen oder eher ein Risiko, da traditionelles Geschäft wegbrechen könnte?

Da die internationalen Regularien und Haftungsregeln noch nicht feststehen, ist es schwer, eine Prognose zu treffen.

Sicherlich kann man aber schon jetzt sagen, dass es zu einer Verschiebung des Marktes kommen wird: Traditionelles Geschäft bricht weg, aber neues kommt hinzu. Es wird – so prophezeien es die Experten – weniger Schäden geben, aber wenn es Schäden gibt, werden diese höchstwahrscheinlich höher sein. Die Deckungssummen werden sich in einigen Versicherungssparten (wie z. B. Cyber) erhöhen, was stets mit einer höheren Prämie einhergeht.

Und für Unternehmen, welche zuvor nie maritime Risiken abdecken mussten, sollten passende Produkte bereitgehalten werden.

Man kann also sagen: Für Versicherer mit gut durchdachten Produkten bestehen hier große Chancen!

 

Frau Dr. Schilling-Schulz, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch.

Das Interview führte unser Head of Business Development, Martin Nokes.

Autonomisierung von Transportmitteln

Referenzen:

https://www.allianz.com/de/presse/news/geschaeftsfelder/versicherung/170824-unbemannte-schiffe.html

https://www.km.kongsberg.com/ks/web/nokbg0240.nsf/AllWeb/4B8113B707A50A4FC125811D00407045?OpenDocument

 

 

 

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